Bericht in der ABZ (Allgemeine Bäcker Zeitung) vom 20. April 2013
Lesen Sie hier den Bericht einer interessanten Indienreise, die auch nach Mitraniketan und in das dortige neu erbaute Backhaus führte!
Brot für Indien
In Kerala ist dank deutscher Unterstützung eine Backstube entstanden / Ein Reisebericht mit Blick auf den indischen Backmarkt
Von Ulrich Stökle
Wenn Peter Becker, Präsident des Deutschen Bäckerhandwerks, auf neue Märkte hinweist und sagt, dass aktuell große Teile Asiens beginnen, Brot als Grundnahrungsmittel zu entdecken, dann kam mir meine Urlaubsreise nach Indien gerade recht. In Kerala, dem südlichsten Zipfel des indischen Subkontinents, machte ich mich auf die Suche, wie es dort unten mit diesem angeblich aufkeimenden Brotmarkt steht. Indien ist so, wie man es sich mit seinen stattlichen 1,2 Milliarden Einwohnern vorstellt: Menschen, viele Menschen, Menschenmassen in den Städten, auf den Straßen, Transporte von A nach B, ganz egal ob mit dem LKW, Moped, Fahrrad oder zu Fuß mit eigener Muskelkraft – es wuselt von Menschen, ein Ameisenhaufen dagegen ist beschaulich!
Aber die Versorgung mit Lebensmitteln ist gegeben – zumindest in diesem südlichen Zipfel, aus dem ich berichte. Jede Menge Reis mit Gemüse und Gewürzen, Bananen, exotisches Obst in großer Auswahl – Hungersnöte gibt es in Kerala nicht! Im Gegenteil: Zum Dessert eine Kokosnuss, die frisch aus dem Garten vom Baum geschlagen wird, das grenzt schon an paradiesische Zustände! Aber außer einem kahlen, nackten, weißen Toastbrot – noch nicht mal geröstet – bleibt man von unserem deutschen Brotmarkt doch unendlich weit entfernt.
Wenn so in der Ferne dann doch der Appetit auf eine Scheibe frischen Brotes mit Butter immer begehrlicher wird, besucht man zielsicher eine der vielen Bäckereien, die sich nach der englischen Amtssprache betitelt „Bakeries“ nennen. Solche gibt es wie Sand am Meer. Aber sie haben ziemlich wenig zu tun mit unserem Bäckerei-Verständnis. Peter Becker hat recht: Klassisches Brot nach unserem Verständnis findet man in Indien nirgends – abgesehen von diesen oben erwähnten steril verpackten Toastbroten, die wohl von den kolonialen Engländern nach hierher missioniert wurden. Aber aus was bestehen indische Bakeries dann, wenn sie unsere europäischen Backwaren nicht führen? Ich würde diese Geschäfte beschreiben als Mischung aus türkischer Konditorei mit vielen Süßigkeiten und kleinen Pralinen und Jahrmarktständen, die gebrannte Mandeln und geröstete Früchte zum Verkauf anbieten. Brot und Brötchen nach unserem Verständnis – Fehlanzeige.
Mit Richard Nußbaumer, Bäcker aus Karlsruhe, dürfte das anders werden: Aus Wohltätigkeit spendierte er einer sozialen Einrichtung in Kerala erst einmal Maschinen und das Know-how. Eine beeindruckende Idee: Jungen Leuten aus schwierigem Umfeld, ohne Zukunftsprognosen, den ehrenwerten Beruf „Bäcker“ zu lehren, mit dem sie später den eigenen Lebensunterhalt bewerkstelligen können! Das Projekt heißt „Mitraniketan“ (auf deutsch: „Stätte der Freunde“) und ist Teil einer Art Kinder- und Jugenddorf. Ende vergangenen Jahres erfolgte der nächste Schritt: Aus der improvisierten „Container-Bäckerei“, in dem das Backen begann, wurde ein gemauertes Backhaus mit mehr Raum und mehr Technik.
Dass diese karitative Idee mehr und mehr Früchte trägt, ist dem Initiator Nußbaumer zu danken. „Für mich ist das eine absolute Herzensangelegenheit“, betont der Karlsruher Unternehmer, der dieses Projekt seit dem Jahr 2006 unterstützt. Wie ein kleines Kind freut er sich mit, wenn ihm seine Freunde in Indien stolz berichten, dass die Mengen von Brötchen, die auf dem Markt verkauft werden, ständig erhöht werden müssen. Einzig in die Gesichter der jungen Männer in der südindischen Backstube zu schauen, sagt alles: Begeisterung, Freude und Stolz bis über beide Ohren! Insgesamt zehn Leute sind momentan in der neu gebauten Backstube aktiv, drei davon Azubis. Ein hoch motiviertes Team, das Richard Nußbaumer zeigt, dass die Spendengelder richtig angelegt sind.
Ob die indienweite Backwaren-Revolution allerdings logistisch und kaufmännisch funktioniert, das ist fraglich – trotz dieses vorbildlichen Projektes, in dem vor allem Jürgen Musler, Backstubenleiter in der Bäckerei Nußbaumer für fachliche Impulse gesorgt hat.
Ich habe bei meiner Reise viele Reis-, aber keine Getreidefelder gesehen. Wo bekommt man also das benötigte Mehl her? Und wird Brot im freien Markt überhaupt finanzierbar sein, wenn der Durchschnitts-Inder umgerechnet gerade mal drei Euro pro Tag verdient?
Der Bäckermannschaft von Nußbaumer wird das nicht den Wind aus den Segeln nehmen. Sie fühlen sich erst mal als Pioniere auf einem spannenden neuen Markt. Und Nußbaumer selbst? Auch er hat das Projekt nicht gestartet, um damit Geld zu verdienen. Ganz im Gegenteil: Die Sache kostet ihn eine Stange Geld! Leuten wie ihm, die sich solche selbstlose Aktionen ausdenken, sie wagen und realisieren, denen wäre gegönnt, wenn ein solches soziales Ehrenamt in einem späteren Schritt doch auch wirtschaftlich Früchte tragen würde. Was wäre das für eine Prognose von Peter Becker gewesen, wenn in einigen Jahren doch deutsche Bäcker-Pioniere Indien mit Geschäften überziehen, in denen es Brot, Brötchen und Brezeln zu kaufen gäbe …